
Gut gemeinte Ratschläge gehören zum Alltag. Viele davon klingen logisch, manche wirken sogar überzeugend. Medizinisch stimmt es aber oft erst dann, wenn man den Kontext kennt. Gesundheitsmythen führen entweder zu unnötiger Sorge oder zu unnötigen Behandlungen. In diesem Blog ordnen wir einige Klassiker verständlich und fundiert ein.
Mythos: «Bei gelbem oder grünem Schleim braucht es ein Antibiotikum»
Der Mythos ist weit verbreitet und dazu passt auch die Annahme, Antibiotika würden bei Erkältungen grundsätzlich helfen. Beides ist in den meisten Fällen nicht richtig. Denn, Antibiotika wirken gegen Bakterien. Erkältungen und viele akute Atemwegsinfekte werden jedoch durch Viren ausgelöst. In solchen Situationen bringt ein Antibiotikum keinen Nutzen. Eine unnötige Einnahme kann sogar problematisch sein.
Warum Antibiotika ohne ärztliche Beurteilung keine gute Idee sind
Die Einnahme von Antibiotikum kann zu Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Bauchschmerzen oder Durchfall führen oder manchmal auch Hautreaktionen hervorrufen. Weiter fördert ein unnötiger Einsatz Resistenzen. Dabei werden nicht Menschen resistent, sondern Bakterien. Vereinfacht gesagt überleben einzelne, widerstandsfähige Bakterien eine Antibiotika-Behandlung, vermehren sich und können später Infektionen verursachen, die schwieriger zu behandeln sind.
Die Schleimfarbe allein ist nicht entscheidend!
Die Farbe ist kein verlässliches Zeichen dafür, ob Bakterien im Spiel sind. Auch bei viralen Infekten kann Sekret gelblich oder grünlich werden, weil die Immunabwehr aktiv ist. Entscheidend sind Verlauf und Untersuchung. Ein Antibiotikum ist dann sinnvoll, wenn bei der ärztlichen Abklärung Hinweise auf eine bakterielle Infektion oder eine bakterielle Komplikation bestehen – nicht wegen der Schleimfarbe. Antibiotika sollten nie in Selbstmedikation eingenommen werden, zum Beispiel wenn zu Hause noch Reste vorhanden sind. Die Wahl des richtigen Antibiotikums, die Dosierung und die Dauer müssen zur Situation passen.
Mythos: «Fieber bei Kindern ist immer gefährlich und muss sofort runter»
Fieber gehört zu den Themen, die Eltern besonders verunsichern. Viele verbinden es automatisch mit Gefahr. Medizinisch ist Fieber jedoch zunächst ein Signal: Der Körper reagiert auf einen Infekt. Fieber ist dabei oft Teil der Abwehr und kann dem Immunsystem helfen. Entscheidend ist weniger die Zahl auf dem Thermometer als der Allgemeinzustand des Kindes und ob das Kind trotz Fieber trinkt, reagiert und insgesamt noch gut mitmacht.
Genau darum kann ein Kind mit hohem Fieber, das zwischendurch spielt und gut trinkt, weniger bedenklich sein als ein Kind mit mässigem Fieber, das ungewöhnlich schläfrig wirkt, kaum reagiert oder deutlich schwächer wird.
Hilfreich ist ein ruhiger Fokus auf Beobachtung und Verlauf. Wird es von Tag zu Tag besser oder schlechter? Trinkt das Kind genügend? Gibt es Atemprobleme? Bestehen starke Schmerzen oder ungewöhnliche Symptome? Und nicht zuletzt ist das Bauchgefühl der Eltern wichtig. Wenn dieses sagt, dass etwas nicht stimmt, ist eine ärztliche Abklärung richtig. Lesen Sie hierzu auch unseren Blog «Fieber bei Kindern», in dem die neusten Richtlinien zum Thema beschrieben sind.
Mythos: «Zucker macht Kinder hyperaktiv»
Dieser Satz hält sich hartnäckig und er ist nicht komplett aus der Luft gegriffen. Bei manchen Kindern können Süssigkeiten oder gezuckerte Getränke kurzfristig dazu führen, dass sie unruhiger, impulsiver oder aufgedrehter wirken. Zu pauschal wird es dann, wenn man dieses Verhalten nur auf den Zuckerkonsum zurückführt.
Was passiert bei Zuckerkonsum im Körper?
Zucker gelangt rasch ins Blut und der Blutzucker steigt. Der Körper reagiert mit Insulin, damit die Glukose in die Zellen aufgenommen wird. Diese schnellen Schwankungen können sich bei Kindern unterschiedlich zeigen. Bei einigen wirkt es wie ein kurzes Hoch und ist mit Unruhe, Impulsivität oder Tempo verbunden. Wenn der Blutzucker später wieder sinkt, kann die Stimmung ziemlich schnell kippen und die Kinder werden gereizter, ungeduldiger oder weniger konzentriert. Nach aussen wirkt das, als wären sie hyperaktiv.
Was im Alltag aber oft unterschätzt wird, ist das Umfeld. Süsses wird meist dann gegessen, wenn ohnehin viel los ist. Also an Geburtstagen, Festen, Weihnachten oder Ostern. Zu diesen besonderen Anlässen gibt es nebst den Süssigkeiten auch mehr Reize, mehr Aufregung, weniger Routine und manchmal zu wenig Schlaf. Und all diese Faktoren verstärken die Reaktion gewisser Kinder auf Zucker. Dazu kommt, dass an solchen Tagen oft über längere Zeit immer wieder Süsses gegessen wird. Das führt zu wiederholten Blutzucker-Auf-und-ab-Phasen und verstärkt natürlich die Verhaltensweisen.
Im Alltag meint man mit «hyperaktiv» also eher kurzfristiges Aufgedrehtsein. Medizinisch ist Hyperaktivität etwas anderes, nämlich ein anhaltendes Muster aus Unruhe und Impulsivität, das über längere Zeit besteht, in verschiedenen Situationen auffällt und den Alltag belastet. Zucker kann kurzfristig Symptome auslösen, die ähnlich wirken. Eine Hyperaktivität als Krankheitsbild löst er aber nicht aus.
Mythos: «Fingerknacken macht Arthrose»
Wer kennt es nicht? Das Geräusch von Fingerknacken! Es klingt in den meisten Ohren zwar schädlich, ist aber in der Regel harmlos. Dennoch hält sich der Mythos seit Generationen.
Das Knacken entsteht durch einen physikalischen Effekt in der Gelenkflüssigkeit. Wenn die Gelenkflächen kurz auseinandergezogen werden, fällt der Druck im Gelenk ab, wobei sich in der Flüssigkeit eine Gasblase beziehungsweise ein Hohlraum (Kavitation) bildet. Bildgebende Untersuchungen konnten dieses Phänomen in Echtzeit sichtbar machen. Das Geräusch entsteht im Zusammenhang mit dieser Kavitationsblase und nicht, weil die Knochen aneinander reiben.
Was man über Fingerknacken und Arthrose weiss
In Untersuchungen fand sich kein überzeugender Hinweis, dass gewohnheitsmässiges Fingerknacken allein Arthrose der Hand verursacht. Es gibt jedoch Hinweise, dass sehr häufiges, intensives Knacken mit anderen Problemen einhergehen kann, etwa mit Schwellungen oder einer tendenziell geringeren Griffkraft. Das ist nicht dasselbe wie Arthrose, zeigt aber, wenn es übertrieben wird, kann es die Handfunktion beeinflussen.
Mythos: «Kälte oder Zugluft macht krank»
Dieser Satz gehört fast zum Winterinventar. Medizinisch gesehen entspricht dies nur der halben Wahrheit. Erkältungen und Grippe entstehen nämlich durch Viren, nicht durch Kälte an sich. Wer draussen friert oder im Durchzug sitzt, wird nicht von der Kälte krank, sondern nur dann, wenn ein Virus übertragen wird.
Warum Kälte indirekt eine Rolle spielt
Im Winter halten sich Menschen häufiger in Innenräumen auf, oft näher beieinander. Das erleichtert die Übertragung von Viren. Zusätzlich ist kalte Winterluft meist trocken und trockene Luft kann die Schleimhäute in Nase und Rachen austrocknen. Diese Schleimhäute sind eine wichtige Schutzbarriere. Wenn sie gereizt und trocken sind, können Viren leichter andocken.
Gute Raumluft, ausreichend trinken, Hände waschen und bei Infekten den Kontakt zu anderen reduzieren, ist im Winter eine gute Prävention gegen Erkältungen.
Mythos: «Bei Rückenschmerzen ist Bettruhe am besten»
Viele Menschen denken bei akuten Rückenschmerzen zuerst an Schonung. Eine mehrtägige Bettruhe ist bei gewöhnlichen (unspezifischen) Rückenschmerzen aber meist keine gute Idee. Bettruhe bringt in diesen Fällen keinen Vorteil und kann sogar schaden, weil Muskeln rasch abbauen und der Rücken dadurch eher empfindlicher wird.
Die Lösung heisst also nicht Bettruhe, sondern aktiv bleiben. Das bedeutet, sich normal bewegen und kurze Spaziergänge machen, statt stundenlang zu liegen. Wenn die Schmerzen so stark sind, dass Bewegung kaum möglich ist, kann Wärme entlasten. Bei Bedarf kann auch ein geeignetes Schmerzmittel für wenige Tage helfen, damit Bewegung wieder möglich wird. Ziel ist nicht Schonung, sondern den Rücken so zu entlasten, dass man wieder schmerzarm in den Alltag findet.
Begleitung in der Praxis am Bahnhof
Alltagsmythen führen oft zu Unsicherheit. Ist etwas harmlos oder braucht es eine Behandlung? Wenn Sie unsicher sind, ob Ihre Symptome abgeklärt werden sollen, ist eine ärztliche Beurteilung sinnvoll.
