Helmar Zienert: Zwischen Hausarztpraxis und Schiffsarztkabine

Helmar Zienert ist erfahrener Schiffsarzt und Hausarzt mit Leidenschaft in der Praxis am Bahnhof Bäch.

Ob im Notfallzentrum, auf hoher See oder im Zürcher Oberland – Dr. Helmar Zienert bringt medizinische Erfahrung aus ganz unterschiedlichen Welten mit. Im Interview spricht er über seine Zeit als Schiffsarzt, seine Begeisterung für die Hausarztmedizin und verrät, was Musik, Sport und Radiomoderation mit seinem Alltag zu tun haben.

Was hat Sie ursprünglich dazu bewegt, Arzt zu werden und warum genau Allgemeinmediziner?

Ich wusste schon in der Schule, dass ich Arzt werden möchte. Medizin hat mich einfach fasziniert, besonders die Allgemeinmedizin, weil sie so vielfältig ist. Man begleitet Menschen über viele Jahre hinweg und ist oft ihre erste Ansprechperson in Gesundheitsfragen.

Können Sie sich noch an Ihren allerersten Patienten erinnern?

Nicht der erste, aber einer, den ich nie vergessen werde. Frisch im Dienst als Hausarzt wurde ich zu einer älteren Dame gerufen. Angeblich mit akuten Rückenschmerzen und völliger Bewegungsunfähigkeit. Vor Ort führte mich die Haushälterin direkt ins Badezimmer. Dort lag die Patientin in der Badewanne: völlig gesund aber körperlich nicht in der Lage, selbst aufzustehen.

Das Problem war weniger medizinischer Natur als vielmehr ein praktisches. Es fehlte schlicht eine Aufstehhilfe. Also starteten wir zu dritt: ich, die Haushälterin und die Dame selbst. Eine Rettungsaktion mit vollem Körpereinsatz und ziemlich nassen Füssen.
 
Am Ende sass sie entspannt auf dem Sofa, nur ein Handtuch auf dem Kopf, dafür ein breiteres Lächeln im Gesicht. Ein aussergewöhnlicher Hausbesuch, der trotzdem genau das brachte, was gebraucht wurde.

Gab es einen Moment in Ihrer Laufbahn, der alles verändert hat?

Es gab mehrere prägende Momente, doch der entscheidendste war sicher die Übernahme meiner eigenen Hausarztpraxis, die ich 23 Jahre lang geführt habe. 2021 bin ich mit meiner Familie in die Schweiz gezogen. Ein grosser Schritt, der neue Perspektiven eröffnete.
 
Ein echter Wendepunkt kam jedoch bereits 2017, als ich als Passagier auf einem Kreuzfahrtschiff das Bordhospital besichtigen durfte. Dieses kleine, aber hervorragend ausgestattete schwimmende Notfallzentrum hat mich sofort fasziniert. Von da an war klar: ich wollte eines Tages selbst als Schiffsarzt tätig sein. Um diesem Ziel näherzukommen, absolvierte ich unter anderem eine vertiefte Weiterbildung in Notfallmedizin. Ein Bereich, der mich seither ebenso begeistert wie die Seefahrt.
 
Nach dem Umzug in die Schweiz begann ich als Oberarzt im Notfallzentrum des Stadtspitals Zürich Triemli. Es folgten Stationen im AMEOS Spital Einsiedeln, sowohl auf der Notfallstation als auch in der Inneren Medizin. Diese Zeit hat meine klinischen und notfallmedizinischen Fähigkeiten nochmals deutlich geschärft. Gleichzeitig wurde mir bewusst, dass ich die hausärztliche Tätigkeit nicht aufgeben möchte.
 
Heute bin ich in der Praxis am Bahnhof tätig. Ein Ort, der mir genau die richtige Mischung bietet: ich kann Menschen langfristig begleiten und zugleich mein Wissen aus der Notfallmedizin einbringen. Für mich ist das die perfekte Kombination.

Sie waren 2024 zwei Monate als Schiffsarzt unterwegs. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen – fachlich wie persönlich?

Enorm viel. Als Schiffsarzt ist man Teil eines kleinen Teams, aber medizinisch trägt man viel Verantwortung, oft ohne Rückgriff auf Spezialisten. Man muss Entscheidungen alleine treffen und gleichzeitig Passagiere mit den unterschiedlichsten Erkrankungen optimal versorgen, auch wenn das Meer unruhig ist oder der nächste Hafen noch Stunden entfernt.
 
Ich denke an hektische Nächte mit medizinischen Notfällen und an Passagiere mit den unterschiedlichsten Krankheitsbildern – von einfachen Fieberinfekten über Gallenwegsentzündungen bis hin zu Schlaganfällen oder Knochenbrüchen bei Kindern und Erwachsenen. Auch bewusstlose Patienten gehörten zum Alltag.
 
Neben der medizinischen Betreuung der Gäste war ich auch für die Crew verantwortlich. Menschen aus über 40 Nationen. Für sie war ich nicht nur Schiffsarzt, sondern auch Haus- und Betriebsarzt. Dabei galt es, unterschiedliche medizinische Standards ebenso zu berücksichtigen wie kulturelle Unterschiede im Umgang mit Krankheit und Gesundheit.

Kamen Sie an Ihre Grenzen auf hoher See?

Besonders herausfordernd waren Einsätze, bei denen wir unter hohem Zeitdruck gemeinsam mit dem Kapitän entscheiden mussten: Kann der Patient im nächsten Hafen versorgt werden, oder braucht es eine sofortige Evakuierung per Helikopter? Viele stellen sich dabei eine Landung auf dem Schiff vor. In Wirklichkeit wird «gewincht». Das heisst die erkrankte Person wird mit einem Seil aus dem Schiff heraus direkt in den schwebenden Helikopter gezogen. Ein technisch anspruchsvolles und für alle Beteiligten hochkonzentriertes Manöver, mitten auf hoher See.
 
Persönlich war es eine intensive Zeit. Man lebt und arbeitet eng aufeinander, ist ständig im Einsatz, weiss nie, was der nächste Tag bringt. Aber genau das macht diese Arbeit so besonders: Medizin in ihrer ganzen Breite unter aussergewöhnlichen Bedingungen.

Was fasziniert Sie an der maritimen Medizin?

Mich fasziniert die Kombination aus Notfallmedizin, Eigenverantwortung und den besonderen Bedingungen an Bord. Das Bordhospital ist eine hochmoderne Notfalleinheit ausgestattet mit Labor, digitalem Röntgen, überwachten Krankenbetten und sogar einer kleinen Intensivstation. Und trotzdem ist es kein Spital.
 
Die Möglichkeiten sind begrenzt: die Auswahl an Medikamenten ist eingeschränkt, es gibt weder CT noch MRI und komplexe chirurgische Eingriffe können nicht durchgeführt werden. Auch Fachärztinnen und Fachärzte sind nicht einfach verfügbar. Im Notfall muss man dennoch schnell und sicher entscheiden – oft allein, unter Zeitdruck und mit dem, was an Bord vorhanden ist.
 
Gerade in solchen Momenten zeigt sich, wie wertvoll eine spezialisierte Ausbildung in Maritimer Medizin ist.

Welche Erfahrungen aus der Seefahrt bereichern Ihre Tätigkeit als Hausarzt in der Praxis am Bahnhof?

Schnelle Entscheidungen treffen, das Ganze im Blick behalten. Das ist auf dem Schiff entscheidend und hilft mir auch im Praxisalltag. Zudem bin ich durch die internationalen Einsätze sprachlich flexibel geblieben.

Haben Sie demnächst vor, wieder als Schiffsarzt an Bord zu gehen?

Ja, im Herbst gehe ich für zwei Monate auf eine grössere Tour durch Südeuropa. Ich werde wieder Teil eines medizinischen Teams sein, das sowohl Passagiere als auch Crew betreut. Für die Passagiere sind wir vor allem in Notfällen da – bei der Crew übernehmen wir zusätzlich die hausärztliche und betriebsärztliche Versorgung. Und das für mehrere hundert, teils über tausend Personen, die auf dem Schiff leben und arbeiten.

Was schätzen Sie an Ihrer Tätigkeit als Hausarzt ganz besonders?

Ich schätze die enorme Vielfalt. Kein Tag ist wie der andere. Ich begleite Menschen mit ganz unterschiedlichen Anliegen, vom Kleinkind bis zur betagten Seniorin. Besonders schön ist es, wenn man über viele Jahre hinweg eine Familie betreut, Generationen kennt und mit der Zeit ein echtes Vertrauensverhältnis entsteht.
 
Man wird nicht nur als Fachperson wahrgenommen, sondern oft als jemand, der einen konstanten Platz im Leben der Patientinnen und Patienten einnimmt. Diese langfristige, persönliche Verbindung ist für mich das Herzstück der Hausarztmedizin.

Wie erleben Sie den Kontakt mit Ihren Patientinnen und Patienten, gerade in einer lebendigen Gruppenpraxis wie der Praxis am Bahnhof?

Die Praxis am Bahnhof bietet mir Möglichkeiten, wie ich sie mir immer gewünscht habe: moderne Diagnostik, kurze Wege zu Fachärzten und ein interdisziplinäres Miteinander. Das führt zu hoher Patientenzufriedenheit und auch zu sehr erfüllender Arbeit für uns im Team.

Gibt es eine medizinische Entwicklung, die Sie besonders begeistert?

Technologische Fortschritte, etwa in der Telemedizin oder die Entwicklung guter KI-Tools, die uns im Alltag unterstützen, besonders bei komplexen Recherchen oder bei der Auswertung medizinischer Studien.

Wie schaffen Sie es, bei all dem grossem Druck und hektischen Anforderungen ruhig zu bleiben?

Mit der Erfahrung kommt eine gewisse Ruhe. Ich höre sehr bewusst zu, denn oft beginnt alles schon bei der Anamnese. Wenn ich gezielt frage und aktiv zuhöre, ergibt sich meist schon eine klare Richtung. Ich setze Prioritäten, strukturiere die Informationen, überlege im Voraus, was parallel möglich ist, gerade wenn es hektisch wird.
 
Manchmal laufen mehrere Dinge gleichzeitig, etwa bei komplexen Verläufen oder wenn mehrere Patienten parallel betreut werden. Wichtig ist, dabei immer präsent zu bleiben. Für mich steht fest: Der Mensch vor mir hat volle Aufmerksamkeit verdient und bekommt sie auch. Kein Fall ist wie der andere, gerade das macht den Beruf so spannend.
 
Und ich bleibe offen für das Bauchgefühl. Wenn Befunde nicht zum Zustand des Patienten passen, ist es wichtig, genauer hinzuschauen.

Wie zeigt sich dieses Bauchgefühl in der Praxis konkret?

Zum Beispiel dann, wenn Laborwerte oder andere Befunde unauffällig sind aber nicht zu den geschilderten Beschwerden oder zur vermuteten Diagnose passen. Oder wenn ein Patient deutlich kranker wirkt, als es Aktenlage oder Lehrbuch erwarten lassen. In solchen Momenten werde ich besonders aufmerksam. Dann weiss ich: hier braucht es ein genaues Hinsehen und manchmal auch ein Umdenken.
 
Das Bauchgefühl entsteht nicht einfach so. Es basiert auf Erfahrung, Beobachtung, vielen kleinen Details. Manchmal zeigt es sich in der Art, wie jemand spricht, sich bewegt oder reagiert. Ich hatte zum Beispiel eine Patienten mit vermeintlichen Magenschmerzen. Es stellte sich heraus, dass er einen Herzinfarkt hatte, obwohl die typischen Herzbeschwerden ausblieben. Ohne Bauchgefühl hätte man das leicht übersehen.
 
Das Bauchgefühl hilft mir, dran zu bleiben, wenn etwas nicht zusammenpasst. Manchmal ist es eben nicht die eine Zahl oder das eine Symptom, sondern die Kombination aus allem.

Gab es eine Begegnung mit einem Patienten, die Sie besonders berührt hat?

Ein Patient war Dichter und hat mir nach seiner Behandlung eine Lobeshymne über meine Arbeit in fränkischer Mundart geschrieben und diese sogar in einem seiner Bücher veröffentlicht. Solche Momente berühren einen sehr.

Wie schalten Sie nach einem vollen Tag in der Praxis ab?

Mit Bewegung! Das hilft mir, körperlich wie mental abzuschalten. Ich schwimme gerne im Zürichsee oder trainiere zu Hause in meinem kleinen Fitnessbereich.
 
Und mit Musik. Sie begleitet mich schon mein ganzes Leben. In meiner Jugend war ich Teil einer Band. Ich spielte Saxophon und Keyboard, manchmal übernahm ich auch den Leadgesang. Heute spiele ich noch E-Piano und singe, besonders auf Reisen, mit Begeisterung Karaoke. Bei einer Kreuzfahrt habe ich sogar einmal beim „Voice of the Ocean“-Wettbewerb mitgemacht und es bis ins Finale geschafft. Es geht mir dabei nicht ums Gewinnen, sondern um den Spass und darum, einfach mal ganz in der Musik aufzugehen.

Wenn Sie einen Tag lang etwas ganz anderes machen dürften, was wäre das?

Ich würde zurück ans Radiopult gehen. Während meines Medizinstudiums habe ich mehrere Jahre beim Privatradio gearbeitet. Zuerst in der Redaktion, später vor allem als Moderator. Ich habe mehrere eigene Sendungen gestaltet, Musiktitel ausgewählt und live moderiert. In dieser Zeit durfte ich auch als Sprecher für Kinowerbung arbeiten.
 
Besonders spannend war die Arbeit in der Musikredaktion: Ich durfte auf Konzerte, habe Interviews mit bekannten Künstlern geführt, war zum Beispiel auch mal bei Joe Cocker. Es war eine unglaublich kreative und intensive Zeit, ganz anders als die Medizin, aber ebenfalls sehr menschlich.

Gibt es etwas, das Ihre Patienten wohl nie über Sie vermuten würden?

Wahrscheinlich genau das: dass ich Radiomoderator war, auf Konzerten Interviews gemacht habe und auf der Bühne stand oder dass ich zwei Jahre in Italien gelebt und studiert habe.

Was wünschen Sie sich für die zukünftige Entwicklung der Hausarztmedizin?

Weniger Bürokratie, bessere digitale Schnittstellen zwischen Praxen, Spitälern und Versicherungen und mehr Zeit für die Patienten.

Was ist Ihnen für die Zusammenarbeit im Team der Praxis am Bahnhof besonders wichtig?

Respekt, Offenheit und Teamgeist. Ich sage immer: wir sitzen alle im selben Boot und wir kommen nur gemeinsam voran. In einer grossen, modernen Praxis wie der unseren ist das keine Floskel, sondern entscheidend.
 
Jede und jeder bringt unterschiedliche Stärken mit. Das kann in der Diagnostik, im zwischenmenschlichen Bereich oder im Umgang mit komplexen Situationen sein. Was ich besonders schätze: wir begegnen uns hier auf Augenhöhe. Egal ob Ärztin, MPA, Therapeut oder Empfang – alle tragen dazu bei, dass sich unsere Patienten gut aufgehoben fühlen. Und man kann sich aufeinander verlassen. Gerade wenn’s hektisch wird, ist es Gold wert, in einem Team zu arbeiten, das Hand in Hand denkt und handelt.

Und zuletzt: Warum würden Sie sich selbst als Patient für die Praxis am Bahnhof entscheiden?

Wegen der Vielfalt: wir haben moderne Diagnostik direkt vor Ort, einen engen Austausch mit Fachärzten und Fachärztinnen und verschiedene Gesundheitsangebote, die sich sinnvoll ergänzen. Gleichzeitig begegnen wir unseren Patientinnen und Patienten auf Augenhöhe mit Zeit, mit Offenheit und mit echtem Interesse. Das ist es, was ich mir als Patient wünsche!

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